Internationaler Tag der Indigenen Völker – und Energiewende in Deutschland

By Gudrun

Internationaler Tag der Indigenen Völker – und Energiewende in Deutschland

Was haben sie miteinander zu tun?


Am 9. August 1983 – vor 41 Jahren – hatten Indigene den Zugang zur UNO in Genf erreicht, die Arbeitsgruppe zu Indigenen Völker (UN Working Group on Indigenous Peoples) nahm ihre Arbeit auf.


Die Situation Indigener Völker heute

Die Lage indigener Völker bleibt weltweit prekär.

Francisco Calí, UN-Sonderberichterstatter für die Rechte Indigener Völker, “stellte fest, er könne nicht berichten, dass die Bedrohungen für die Menschenrechte indigener Völker weniger ernst geworden seien als ... im Jahr 2022.  Die Entwicklung von Megaprojekten in indigenen Gebieten, einschließlich Naturschutzvorhaben und Projekten der ‚grünen Wirtschaft‘ ohne Zustimmung der indigenen Völker, hat zu Vertreibung, Enteignung, Gewalt und systematischer Diskriminierung dieser Völker geführt.“ Link [1]

„Mr. Cali ... betonte, dass die indigenen Völker der Welt keine ‚stakeholder‘ sind sondern ‚rightholder‘, Inhaber von Rechten sind, die kollektive Rechte wie das Selbstbestimmungsrecht in Bezug auf ihr Land und ihre Ressourcen genießen.“ Link [2]

Die Menschenrechtsorganisation Global Witness dokumentierte im September 2022 Link [3] die Ermordung von 200 Indigenen Menschen, die versucht hatten, ihr Land, ihre Lebensgrundlagen  und ihre Recht zu verteidigen. Im Zusammenhang mit dem Statement des UN Sonderberichterstatters, Francisco Cali, ist für 2022 und 2023 kaum besseres zu erwarten.  

Eine im Juni 2023 veröffentlichte Studie Link [4] zeigt, dass Indigene rd. 6.2 % der Weltbevölkerung ausmachen, dass sie jedoch von mindestens 34 % der dokumentierten Umweltkonflikte im Zusammenhang mit extraktiven und industriellen Entwicklungsprojekten betroffen werden – also mehr als 5mal so oft.


Was hat das mit Deutschland zu tun?

In Deutschland nimmt die Energiewende unter der Ampel-Koalition Fahrt auf; allerdings werden für Photovoltaik und Windkraftanlagen Rohstoffe benötigt, von denen viele aus dem Ausland importiert werden müssen – und dort hässliche Spuren hinterlassen.


Beispiel Lithium
In der Dreiecks-Grenzregion Argentinien – Bolivien – Chile liegen rd. 85% der bekannten Lithium-Vorkommen der Welt. Lithium wird nicht nur für die Energiewende benötigt, sondern schon lange für Handys, PCs und anderes.

Der Bedarf im Rahmen der Energiewende wird allerdings die Nachfrage nach Lithium wesentlich in die Höhe treiben – und damit den Druck auf die indigenen Gemeinschaften, die in den Abbauregionen leben, erhöhen: Hoher Wasserverbrauch Link [5] und Lizenzgebühren, von denen die Menschen vor Ort kaum / nicht profitieren, gehen damit einher.
Dass die freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC) der Indigenen vor Ort nicht eingeholt wurde, zeigt ein Gerichtsverfahren in Chile 2022 Link [6]: eine Zusage für ein Lithium-Projekt in der Region Atacama wurde zurückgezogen und ein Konsultationsverfahren der betroffenen indigenen Gemeinden angeordnet. Es hatte eines Gerichtsprozesses bedurft, um das Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (FPIC) der Betroffenen durchzusetzen.

Beispiel Wasserstoff
Da die durch Erneuerbare gewonnene Energie für Deutschland nicht ausreichen wird, um den bisherigen Energieverbrauch zu decken, soll – gemäß der Deutschen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung  – die Lücke durch importierten Wasserstoff, u.a. aus Brasilien, aber auch aus Namibia, gedeckt werden. Von seiten der Regierung wird zwar versichert, dass man keine ‚grünen Kolonialismus‘  betreiben wolle – verbindliche Zusicherungen und die Orientierung an UN-Menschenrechtenormen wie der UN Deklaration über die Rechte Indigener Völker oder die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz indigener und in Stämmen lebender Völker fehlen jedoch.

Beispiel LNG
Nicht nur Südamerika ist betroffen, auch in Kanada gibt es Widerstand gegen einen geplanten LNG-Verladehafen an der Ostküste – für den Transport von LNG nach Deutschland (
Mi’kmaw opposition to the Goldboro LNG project is growing, May 30, 2021, Indigene und Flüssiggas: LNG aus Kanada ist nicht grün [7]) : „Das Goldboro LNG-Terminal wird ohne die vorherige, freie und informierte Zustimmung der Mi’kmaq Nation verhandelt.“ Ein großes Camp für 5000 (männliche) Arbeiter ist geplant. Frauen fürchten die Begleiterscheinung solcher Camps: Vergewaltigungen und Verschwinden-lassen von – indigenen – Mädchen und Frauen, das in Kanada bereits erhebliche Ausmaße angenommen hat Link [8], Link [9].
Darüberhinaus ist die Herstellung von LNG aus Erdgas keineswegs ‚grün‘.


Die Energiewende kann zu einer weiteren Bedrohung für Indigene Völker und Menschen im ‚Globalen Süden‘ werden. Die vagen Aussagen von Politiker*innen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rechte indigener Völker, entsprechend der ILO-Konvention 169 und der UN-Erklärung über die Rechte Indigener Völker, kaum Beachtung finden. Keine der beiden Rechtsquellen wird als eine der Grundlage für die ‚Partnerschaft‘ mit anderen Staaten benannt, Maßnahmen zu deren Umsetzung fehlen bislang.

Die Bundesregierung muss im Rahmen der Energiewende die ILO-Konvention 169, die UN-Erklärung über die Rechte Indigener Völker und das damit verbundene Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung der betroffenen Indigenen zur Grundlagen ihres Handelns machen, auch bei der Energiewende.
 

Hintergrund-Information

Am 9. August 1982 – vor 41 Jahren – hatten Indigene den Zugang zur UNO in Genf erreicht, die Arbeitsgruppe zu Indigenen Völker (UN Working Group on Indigenous Peoples) nahm ihre Arbeit auf.

Der Tag des Beginns der UN Arbeitsgruppe wurde 1995 von der UNO zum Internationalen Tag der Indigenen Völker erklärt.

Die UNO-Arbeitsgruppe schloss 2007 mit der Annahme der UN Erklärung über die Rechte Indigener Völker durch die UN-Vollversammlung ab.

Seither werden relevante Themen beim UN Expert Mechanism on the Rights of Indigenous Peoples (UN  EMRIP) diskutiert, die jedes Jahr im Juli in Genf tagt.

Die internationale Arbeitsorganisation (ILO) hatte schon früher Konventionen zum Schutz Indigener und in Stämmen lebender Völker formuliert; die ILO-Konvention 169 wurde von der Bundesrepublik 2021 ratifiziert und ist seit Juni 2022 rechtsverbindlich.

Im Jahr 2011 waren vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet worden. Deren Umsetzung liegt u.a. in Hand der Staaten. Es dauerte 10 Jahre, bis am Juni 2021 ein deutsches Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verabschiedet wurde, das die Achtung von Menschenrechten in globalen Lieferketten festschreibt.

Die Bundesrepublik hatte mit den Stimmen aller demokratischen Parteien in April 2021 den Beitritt zur Konvention 169 zum Schutz Indigener und in Stämmen lebender Völker der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert, im Juni 2022 wurde die Konvention für die Bundesrepublik rechtsverbindlich.

 

[1] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC10246906/

[2] https://press.un.org/en/2023/hr5477.doc.htm

[3] https://www.globalwitness.org/documents/20425/Decade_of_defiance_EN_-_September_2022.pdf

[4] Scheidel, A., et. al., Global impacts of extractive and industrial development projects on Indigenous Peoples’ lifeways, lands, and rights, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC10246906/

[5] siehe auch: Salar de Maricunga: Wasser ist viel wertvoller als Lithium,  03. Juli 2023
https://latina-press.com/news/313957-salar-de-maricunga-wasser-ist-viel-wertvoller-als-lithium/

[6] Oberstes Gericht in Chile: Indigene Gemeinden müssen zu Lithiumprojekt befragt werden, 11.04.2022
https://amerika21.de/2022/04/257535/chile-konsultation-indigene-lithium

[7] Mi’kmaw opposition to the Goldboro LNG project is growing, May 30, 2021
www.halifaxexaminer.ca/environment/mikmaw-opposition-to-the-goldboro-lng-project-is-growing/
Indigene und Flüssiggas: LNG aus Kanada ist nicht grün Bundeskanzler Scholz will Flüssiggas in Kanada einkaufen. Für die indigene Bevölkerung hat die Förderung katastrophale Auswirkungen,  25.7.2022, https://taz.de/Indigene-und-Fluessiggas/!5867062/

[8] ‘Breeding grounds for predators’: MPs probe links between resource extraction, MMIWG, 28. April 2022
https://www.aptnnews.ca/national-news/breeding-grounds-for-predators-mps-probe-links-between-resource-extraction-mmiwg/

[9] Natural gas for Europe can’t come at a cost to Indigenous Rights and safety in Nova Scotia https://thenarwhal.ca/opinion-goldboro-lng/

 

2023-Internationaler-Tag-Indigener Völker-Energiewende.pdf