Konvention 169 der ILO - Internationalen Arbeitsorganisation ("ILO169")
Was bedeutet ILO?
ILO ist die Abkürzung für International Labour Organisation, der Internationalen Arbeits-Organisation. Sie war 1919 gegründet worden – damit wird sie dieses Jahr 100 Jahre alt.
Nach dem 1. Weltkrieg war die ILO aus der Überzeugung heraus gegründet worden, dass ein weltweiter und anhaltender Frieden nur auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit erreicht werden kann.
1946 wurde die ILO zur ersten „spezialisierten Abteilung“ der neugegründeten Vereinten Nationen. In ihr sitzen – ungewöhnlich für die UN – drei Parteien: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Regierungsvertreter. Zentrales Thema ist die Verbesserung von Arbeitsbedingungen. Ihr Sitz ist in Genf.
Was ist die ILO 169?
Bereits im Jahr 1957 entwickelte die ILO eine ‚Konvention für Indigene und in Stämmen lebende Völker‘, die Konvention 107, da die Arbeitsbedingungen vieler ‚eingeborener Arbeiter‘ in den noch bestehenden Kolonien katastrophal schlecht waren.
27 Länder ratifizierten die ILO-Konvention 107 – und in einigen dieser Länder ist sie noch heute in Kraft.
Im Lauf der Jahre wurde offenbar, dass die Konvention 107 ihre Schwächen hatte, da sie stillschweigend voraussetzte, dass Indigene nur eine Zukunft im Aufgehen in der herrschenden Mehrheits-Gesellschaft hätten. Durch die Bewegungen Indigener Völker in den 1970er und 1980er Jahren, wuchs das Bewusstsein, dass dies nicht der einzige Weg ist: Indigene wollen ihren Weg selbst bestimmen.
Die Konvention 107 wurde überarbeitet, und 1989 wurde eine Neufassung, die ILO-Konvention 169 (kurz: ILO 169) verabschiedet, die auf dem Respekt für die Kulturen und Lebensweisen indigener und in Stämmen lebender Völker basiert und ihr Recht, ihre eigenen Prioritäten in ihrer Entwicklung zu setzen, anerkennt.
Bislang ist die ILO 169 die einzige rechtlich verbindliche, internationale Vereinbarung zum Schutz der Rechte indigener und in Stämmen lebender Völker – im Unterschied zur UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (UNDRIP), die juristisch gesehen nicht verbindlich ist.
Übereinkommen 169 Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, 1989 - ILO169.pdf
WER sind „indigene Völker“ ?
Der Begriff „indigen“ ist letztlich eine Eindeutschung des Wortes „indigenous“, das mit „eingeboren“ übersetzt werden kann. Allerdings ist der Begriff „eingeboren“ teilweise stark mit negativen Begrifflichkeiten wie „primitiv“, „unterentwickelt“ und dergleichen assoziiert. Deshalb war man bemüht, einen neutraleren Begriff zu finden und bedient sich des Wortes „indigen“.
Die ILO sprach schon in der Konvention 107 von „indigenen und in Stämmen lebenden Völkern“, die Konvention 169 verwendet denselben Wortlaut in der Bezeichnung der Konvention.
Im Sinne der UN und der ILO ist der Begriff ‚indigen‘ damit durch die ILO 169 (und die UNDRIP) umrissen und bedeutet mehr als die wörtliche Übersetzung von ‚indigen‘ als ‚eingeboren‘.
Wer gehört dazu?
Die Konvention 169 legt einerseits eindeutig ein Recht auf Selbstidentifikation als ‚indigen‘ fest, da klar geworden war, dass Definitionen von staatlicher Seite benutzt wurden und werden, Personen oder Gruppen von diesen Rechten auszuschließen.
Das Gefühl der Eingeborenen- oder Stammeszugehörigkeit ist als ein grundlegendes Kriterium für die Bestimmung der Gruppen anzusehen. (ILO 169, Art 1 Nr. 2)
Gleichzeitig nennt die Konvention 169 im Art. 1 einige Kriterien:
- In Stämmen lebende Völker (...), die sich infolge ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse von anderen Teilen der nationalen Gemeinschaft unterscheiden und deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Bräuche oder Überlieferungen oderdurch Sonderrecht geregelt ist
- Völker (...), die als Eingeborene gelten, weil sie von Bevölkerungsgruppen abstammen, die in dem Land oder in einem geographischen Gebiet, zu dem das Land gehört, zur Zeit der Eroberung oder Kolonisierung oder der Festlegung der gegenwärtigen Staatsgrenzen ansässig waren und die, unbeschadet ihrer Rechtsstellung, einige oder alle ihrer traditionellen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einrichtungen beibehalten. (ILO 169, Art. 1 Nr 1 a und b)
Zu indigenen Völkern gehören beispielsweise ‚Indianer‘ in Nord- und Südamerika (in Canada als „First Nations“ bezeichnet, in USA als „Native Americans“, in Mittel- und Südamerika als „Indigenas“), ‚eingeborene‘ Völker in Australien, pauschal als „Aboriginals“ bezeichnet, ursprüngliche Völker Indiens, pauschal als „Adivasi“ bezeichnet; in Russland wird von „Kleinen Völkern Sibiriens“ gesprochen etc.
Gelegentlich werden als Kriterien für Indigenität Marginalisierung oder Unterdrückung genannt; derlei Kriterien nennt jedoch weder die ILO 169 noch die UNDRIP, weder im eigentlichen Text noch in den Präambeln; sie nehmen nur teilweise Bezug auf die Kolonisierung als historische Tatsache.
Was bedeutet Ratifizierung im Zusammenhang mit der ILO 169?
Ratifizierung bedeutet, dass das Parlament eines Staates die Regierung ermächtigt, einer völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarung, z.B. der ILO 169, beizutreten. Die Konvention wird bei Ratifizierung zu einem verbindlichen Vertrag, der den Staat an die Einhaltung der festgelegten Standards etc. bindet; daraus resultieren einklagbare Rechte.
Anders als viele UN-Pakte, z.B. zu Politischen und Bürgerlichen Rechten, gegen Folter, zur Abschaffung jeder Art von Diskriminierung von Frauen etc., wurde die ILO 169 bisher nur von einer überschaubaren Zahl von Staaten der Welt unterzeichnet: So ratifizierten fast alle Länder Süd- und Mittelamerikas, Mexiko, die Zentralafrikanische Republik und Nepal; in Europa Norwegen (1990), Dänemark (1996), die Niederlande (1998), Spanien (2007), zuletzt ratifizierte Luxemburg (2018) als 23tes Land.
In der Bundesrepublik wurde die Ratifizierung der ILO 169 zwar im derzeit (2019) geltenden Koalitionsvertrag zwischen den Regierungsparteien festgelegt, aber noch nicht vollzogen (Juli 2019).
Welche Rechte schreibt die ILO 169 fest?
Die ILO 169 schreibt eine breites Band von Rechten indigener und in Stämmen lebender Völker fest:
Sie betont zunächst, dass ihnen alle Menschenrechte im vollem Umfang zustehen.
„Aufgabe der Regierungen, mit Beteiligung der betreffenden Völker [ist es] koordinierte und planvolle Maßnahmen auszuarbeiten, um die Rechte dieser Völker zu schützen ( ... )“ und „ b) die volle Verwirklichung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte dieser Völker unter Achtung ihrer sozialen und kulturellen Identität, ihrer Bräuche und Überlieferungen und ihrer Einrichtungen zu fördern; ( ... ) (Art 2 der ILO 169).
Nach Art 5
„a) sind die sozialen, kulturellen, religiösen und geistigen Werte und Gepflogenheiten dieser Völker anzuerkennen und zu schützen ( ... )“
Art 7 der ILO 169 legt fest
„1. Die betreffenden Völker müssen das Recht haben, ihre eigenen Prioritäten für den Entwicklungsprozeß, soweit er sich auf ihr Leben, ihre Überzeugungen, ihre Einrichtungen und ihr geistiges Wohl und das von ihnen besiedelte oder anderweitig genutzte Land auswirkt, festzulegen ( ... ) „
In weiteren Artikeln werden die Regierungen verpflichtet, die Gebräuche und das Gewohnheitsrecht der Indigenen gebührend zu berücksichtigen (Art. 8 und 9).
Von zentraler Bedeutung ist Art. 14:
„1. Die Eigentums- und Besitzrechte der betreffenden Völker an dem von ihnen von alters her besiedelten Land sind anzuerkennen.“
Im nachfolgenden Artikel wird dieses Recht auch auf die Ressourcen des Landes ausgeweitet, und sieht eine Beteiligung der Indigenen an der Nutzung und Bewirtschaftung dieser Ressourcen vor, gegebenenfalls Schadensersatz für Schäden, die durch den Abbau von Ressourcen (z.B. durch Bergbau) verursacht werden.
Art. 16 verbietet im wesentlichen die zwangsweise Umsiedlung; sollte Umsiedlung unumgänglich sein, ist gleichwertiges Land in mindestens gleicher Größe bereitzustellen, Verluste sind zu ersetzen.
Die Arbeitsbedingungen – zentrales Anliegen der ILO – sind in Art. 20 ausführlich geregelt, um sicherzustellen, dass Indigene nicht ausgebeutet oder diskriminiert werden. In den nachfolgenden Artikeln wird besonders auf die Notwendigkeit von allgemein- und berufsbildenden Programmen eingegangen, sowie auf die gesundheitliche Versorgung.
Die ILO 169 legt eine weitgehende Partizipation für Indigene bei Entscheidungen fest, die sie betreffen. Sie gewährt (nach dem entsprechenden Manual) allerdings kein Vetorecht. Im Laufe der Jahre hat sich jedoch die Praxis des „free prior and informed consent (FPIC)“ herausgebildet – indigene Völker müssen über Projekt, die sie betreffen, vorher zutreffend informiert werden und VOR Projektbeginn ihre freiwillige Zustimmung gegeben haben.
Durch die ILO 169 wird weitgehende Selbstbestimmung in kulturellen und sozialen Belangen festgelegt – während sie nicht Selbstbestimmung in politischer Hinsicht anspricht; diese liegt außerhalb des Mandats der ILO.
Indigene Völker und Klimaschutz
Verschiedentlich wird die Wichtigkeit indigener Völker für den Schutz von (Ur-)Wäldern, z.B. im Amazonasgebiet hervorgehoben. Häufig sind tatsächlich Schutz und Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen wie z.B. der (Ur-)Wälder im Amazonasgebiet und in anderen Regionen ein wesentliches Anliegen indigener Völker. Ohne Erhalt dieser Lebensgrundlagen ist ihre Existenz unmittelbar in Gefahr.
Insbesondere das Klimabündnis, in dem über 1.700 Kommunen aus 26 Ländern Europas vernetzt sind, engagiert sich in praktischen Projekten mit Indigenen Gemeinschaften.
Wie ist die aktuelle Situation – in Europa und in der BRD?
Im Juli 2018 verlautbarte die EU Kommission in einer Antwort auf eine Anfrage von Abgeordneten, dass sie die Ratifizierung der ILO 169 durch die EU-Mitgliedsstaaten unterstützt.
Das Europäische Parlament forderte 2018 ebenfalls zur Ratifizierung der ILO 169 und zur Anerkennung der Rechte Indigener Völker auf, und hob auch die Bedeutung indigener Völker beim Klimaschutz hervor.
Allerdings tun sich viele EU-Mitgliedsstaaten schwer mit der Ratifizierung – so auch die Bundesrepublik.
Hierzulande lehnte der Bundestag in vergangenen Jahren eine Ratifizierung ab – mit wechselnden Argumentationen: Wurde einerseits argumentiert, innerhalb der BRD gäbe es keine indigenen Völker, deshalb brauche man diese Konvention nicht zu ratifizieren, wurde an anderer Stelle die Befürchtung geäußert, Sorben, die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein oder die Sinti könnten die ILO 169 für sich entdecken und Rechte daraus für sich beanspruchen.
In Wirklichkeit liegt der Kern des Widerstandes gegen eine Ratifizierung wohl eher in der Furcht, weitere (völker-)rechtliche Verpflichtungen einzugehen, die eventuell die deutsche Wirtschaft in ihren Tätigkeiten im Ausland einschränken könnten, indem sie sie zur Beachtung von Menschenrechten und Rechten indigener Völker verpflichten – und diese einklagbar oder deren Verletzung schadenersatzpflichtig machen.
Im derzeitig gültigen Koalitionsvertrag ist die Ratifizierung der ILO 169 zwischen den Regierungsparteien aufgenommen. Allerdings braucht es offenbar noch etwas Schub, um die Parteien tatsächlich zur Ratifizierung zu bringen.
Der ILO-169 Koordinationskreis, der sich seit langem um die Ratifizierung der ILO 169 durch die BRD bemüht, hat inzwischen viel Unterstützung durch über 15 NGOs erhalten: vom Klimabündnis über Survival International und Gesellschaft für bedrohte Völker bis hin zu Brot für die Welt.
Bündnis begrüßt die deutsche Ratifizierung der ILO-Konvention zum Schutz Indigener
ILO-Konvention 169 * Ratifizierung * indigene Völker
Berlin, 15. April 2021. Der Bundestag hat heute das Ratifizierungsgesetz über die Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz der Rechte indigener Völker verabschiedet und damit eine Vereinbarung des Koalitionsvertrags erfüllt. Der Koordinationskreis ILO 169 sieht darin einen entscheidenden Schritt, die Rechte indigener Völker zu stärken. Die Konvention garantiert indigenen Völkern ihre Rechte auf Erhalt der kulturellen Identität, auf Beteiligung an staatlichen Entscheidungen sowie auf Land und Ressourcen.
Indigene Völker werden auch heute noch politisch, wirtschaftlich und sozial stark benachteiligt. „Mit der Ratifizierung der ILO-Konvention 169 setzt Deutschland ein starkes Zeichen der Solidarität mit indigenen Völkern. Jetzt kommt es darauf an, ihre Rechte auch ganz konkret zu schützen“, sagt Dagmar Pruin, die Präsidentin von Brot für die Welt. „In vielen Teilen der Welt ist der Lebensraum indigener Völker bedroht – durch die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien, durch Lithiumgewinnung in Bolivien oder durch Palmölanbau in Indonesien.“ Seit Ausbruch der Corona-Pandemie haben sich die Lebensbedingungen indigener Völker weltweit noch verschlechtert, weil sie oft keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten haben.
„Durch die Zerstörung des Regenwaldes sind indigene Völker, die Verteidiger des Waldes, vielfältigen Gefahren ausgesetzt, die das Klima auf regionaler und globaler Ebene beeinflussen“, sagt Harol Rincón Ipuchima, stellvertretender Vorsitzender des Klima-Bündnisses und Klimakoordinator der COICA, dem Dachverband der indigenen Organisationen des Amazonasbeckens. Dabei sind die Territorien indigener Völker und ihr traditionelles Wissen von weltweiter Bedeutung für den Erhalt der biologischen und kulturellen Vielfalt.
Die ILO-Konvention 169 ist das einzige rechtsverbindliche internationale Instrument zum Schutz der Rechte indigener Völker. „Mit der deutschen Ratifizierung der ILO 169 gewinnt die Konvention erheblich an Gewicht. Dies sollte Schule machen“, betont Jan Diedrichsen, Bundesvorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker. Bisher haben lediglich 23 Länder die Konvention ratifiziert. Nun reiht sich Deutschland in die Gruppe europäischer Staaten ohne eigene indigene Gemeinschaften ein, die ebenfalls ratifiziert haben, wie die Niederlande, Spanien und Luxemburg. Sie setzen damit ein Zeichen für Solidarität und globale Verantwortung.
„Auf die Ratifizierung müssen im nächsten Schritt auch konkrete Maßnahmen zum Schutz der Rechte indigener Völker folgen“, sagt Michael Thiel, Direktor des Evangelisch-lutherischen Missionswerks in Niedersachen. Hierfür sei es wichtig, in der nächsten Legislaturperiode eine ressortübergreifende Strategie zu entwickeln. „So braucht es konkrete Richtlinien für die Außenwirtschaftsförderung, um die Rechte indigener Völker zu achten. Ebenso sind deutsche Unternehmen gefordert, indigene Rechte entlang der gesamten Lieferkette zu berücksichtigen“, sagt Heike Drillisch, Vorstandsmitglied des INFOE - Instituts für Ökologie und Aktions-Ethnologie.
Weltweit gehören zwischen 350 und 400 Millionen Menschen rund 6.000 indigenen Völkern an. Dies entspricht etwa vier bis fünf Prozent der Weltbevölkerung.
Der Koordinationskreis ILO 169 in Deutschland ist ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Netzwerken und Expert:innen, die sich für die Stärkung der Rechte indigener Völker, der Menschenrechte sowie den Schutz der Regenwälder und den Klimaschutz einsetzen.
ILO 169 Koordinationskreis Deutschland
Zu den Indigenen Völkern gehören 370 Mio Menschen in rund 5000 Kulturen aus über 90 Staaten.
Mitarbeit im ‚Koordinationskreis ILO 169’
Der ‚Koordinationskreis ILO169’ hat sich zum Ziel gesetzt, die Bundesregierung zur Ratifizierung der Konvention 169 des Internationalen Arbeitsamtes (ILO) zu bewegen; diese enthält Bestimmungen zum Schutz der Rechte Indigener Völker.
Wir arbeiten im ‚Koordinationskreis ILO 169’ mit.