
1. Was ist die ILO – und was ist die ILO169?
Was ist die ILO?
ILO ist die Abkürzung für International Labour Organisation, der Internationalen Arbeits-Organisation (im deutschen Sprachgebrauch: IAO, manchmal fälschlich als „Internationales Arbeitsamt“ übersetzt). Die ILO war nach dem 1. Weltkrieg aus der Überzeugung heraus gegründet worden, dass ein weltweiter und anhaltender Frieden nur auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit erreicht werden kann. Die ILO wurde 1919 gegründet, kurz bevor der Völkerbund seine Arbeit aufnahm (1920). Sie ist damit deutlich älter als die UNO.
1946 wurde die ILO zur ersten „spezialisierten Abteilung“ der neugegründeten Vereinten Nationen (UNO). In ihr sind – anders als in anderen UN-Gremien – drei Parteien präsent:
- Arbeitgeber, vertreten durch Arbeitgeberverbände,
- Arbeitnehmer, vertreten durch Gewerkschaften,
- und Vertreter von Regierungen (‚tripartite organisation‘).
Zentrales Thema ist die Verbesserung von Arbeitsbedingungen. Sitz der ILO ist in Genf.
Was ist die ILO-Konvention 169 (kurz ILO169)?
Bereits im Jahr 1957 entwickelte die ILO eine Indigenous and Tribal Populations Convention (No. 107) (Konvention zu Indigenen und in Stämme lebenden Bevölkerungen), da die Arbeitsbedingungen vieler ‚eingeborener Arbeiter‘ in den noch bestehenden Kolonien katastrophal schlecht waren.
27 Länder ratifizierten die ILO-Konvention 107 – und in einigen dieser Länder ist sie noch heute in Kraft.
Im Lauf der Jahre wurde offenbar, dass die Konvention 107 Schwächen hat, da sie voraussetzte, dass Indigene nur eine Zukunft im Aufgehen in der herrschenden Mehrheitsgesellschaft hätten, ein assimilationistischer Ansatz, wie die ILO später erkannte. Durch Bewegungen Indigener Völker in den 1970er und 1980er Jahren wuchs das Bewusstsein, dass dies nicht der einzige Weg ist: Indigene wollen ihren Weg selbst bestimmen.
Die Konvention 107 wurde überarbeitet. 1989 wurde eine Neufassung, die ILO-Konvention 169 (kurz: ILO 169) verabschiedet, die auf dem Respekt für die Kulturen und Lebensweisen indigener und in Stämmen lebender Völker basiert und ihr Recht, ihre eigenen Prioritäten in ihrer Entwicklung zu setzen, anerkennt.
Bislang ist die ILO 169 die einzige rechtlich verbindliche, internationale Vereinbarung zum Schutz der Rechte indigener und in Stämmen lebender Völker – im Unterschied zur UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (UNDRIP, siehe unten), die juristisch gesehen nicht verbindlich ist.
Hier die deutsche sowie die englische Fassung:
- Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern
- English version: Indigenous and Tribal Peoples Conventio
WER sind „indigene Völker“ ?
Der Begriff „indigen“ ist eine Eindeutschung des englischen Begriffs „indigenous“, der mit „eingeboren“ übersetzt werden kann. Allerdings ist der Begriff „eingeboren“ im deutschen stark mit negativen Begrifflichkeiten wie „primitiv“, „unterentwickelt“ usw. assoziiert. Deshalb war man bemüht, einen neutraleren Begriff zu finden und bedient sich des Begriffs „indigen“.
Die ILO sprach schon 1953 in der Konvention 107 von „indigenen und in Stämmen lebenden Völkern“, die Konvention 169 verwendet denselben Wortlaut in der Bezeichnung der neuen Konvention 169.
Im Sinne der UN und der ILO ist der Begriff ‚indigen‘ damit durch die ILO 169 sowie durch die UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples umrissen und bedeutet mehr als die wörtliche Übersetzung von ‚indigen‘ als ‚eingeboren‘.
In neuerer Zeit wurde im deutschen Sprachraum die Verwendung des Begriffs „Völker“ kritisiert, in manchen Medien wurde von „indigenen Bevölkerung“ statt von „indigenen Völkern“ gesprochen. MENSCHENRECHTE 3000 e.V. hat dazu klar Position bezogen, siehe hier:
MR3000-zu-Völker-Bevölkerungen-2025-final.pdf
Wer gehört dazu?
Die ILO-Konvention 169 legt eindeutig ein Recht auf Selbstidentifikation als ‚indigen‘ fest, da klar geworden war, dass Definitionen von staatlicher Seite benutzt wurden und werden, Personen oder Gruppen von diesen Rechten auszuschließen.
Literaturhinweis:
“Indigenous rights and ILO Convention 169: learning from the past and challenging the future*
Peter Bille Larsen and Jérémie Gilbert, THE INTERNATIONAL JOURNAL OF HUMAN RIGHTS 2020, VOL. 24, NOS. 2–3, 83–93
Das Gefühl der Eingeborenen- oder Stammeszugehörigkeit ist ein grundlegendes Kriterium für die Bestimmung der Gruppen (ILO 169, Art 1 Nr. 2).
Gleichzeitig nennt die Konvention 169 im Art. 1 einige Kriterien:
- In Stämmen lebende Völker (...), die sich infolge ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse von anderen Teilen der nationalen Gemeinschaft unterscheiden und deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Bräuche oder Überlieferungen oder durch Sonderrecht geregelt ist
- Völker (...), die als Eingeborene gelten, weil sie von Bevölkerungsgruppen abstammen, die in dem Land oder in einem geographischen Gebiet, zu dem das Land gehört, zur Zeit der Eroberung oder Kolonisierung oder der Festlegung der gegenwärtigen Staatsgrenzen ansässig waren und die, unbeschadet ihrer Rechtsstellung, einige oder alle ihrer traditionellen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einrichtungen beibehalten. (ILO 169, Art. 1 Nr 1 a und b)
Zu indigenen Völkern gehören beispielsweise ‚Indianer‘ in Nord- und Südamerika (in Canada als „First Nations“ bezeichnet, in USA als „Native Americans“, in Mittel- und Südamerika als „Indigenas“), ‚eingeborene‘ Völker in Australien, pauschal als „Aboriginals“ bezeichnet, ursprüngliche Völker Indiens, pauschal als „Adivasi“ bezeichnet; in Russland wird von „Kleinen Völkern Sibiriens“ gesprochen etc.
Gelegentlich werden als Kriterien für Indigenität Marginalisierung oder Unterdrückung genannt; derlei Kriterien nennt jedoch weder die ILO 169 noch die UNDRIP, weder im eigentlichen Text noch in den Präambeln; diese nehmen nur teilweise Bezug auf die Kolonisierung als historische Tatsache.
Abgrenzung von „indigenous peoples“ zu „local communities“
In der jüngeren Vergangenheit wurden bzw. werden Indigene Völker im Kontext von Klimaschutz und Biodiversität vielfach in einem Atemzug mit „local communities“ genannt, so als wären sie identisch bzw. als hätten sie die gleichen Rechte; stellenweise wurden sie unter einem Kürzel „IPLC“ (Indigenous Peoples and Local Communities) subsummiert.
Sowohl Indigene selbst als auch die mit Indigenen befassten Gremien der UNO – die UN Expert Mechanism on the Rights of Indigenous Peoples (UNEMRIP), das UN Permanent Forum on Indigenous Issues (UNPFII) sowie der Special Rapporteur on the Rights of Indigenous Peoples weisen dies klar zurück.
Besondere Gefährdungslage Indigener Völker
Indigene Völker bzw. indigene Personen sind häufig einer besonderen Bedrohungslage und Gefährdungen ausgesetzt. Fortgesetzte Kolonisierung hat viele indigene Völker dezimiert; durch Landnahme, Schädigung oder Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen wurden – und werden – indigene Völker häufig aus ihren Gebieten vertrieben. Dies setzt sich bis heute fort.
Bücher wie „Bury my Heart at Wounded Knee“ etc. berichten detailliert z.B. über die Dezimierung der Indigenen in Nordamerika.
GLOBAL WITNESS berichtet seit Jahren insbesondere über Mordfälle an Umweltschutz-Aktiven.
Im Bericht von 2020 „Environmental defenders - Last Line of Defence” wird ausgeführt, dass Indigene zwar nur rd. 5% der Weltbevölkerung ausmachen – aber von 2015 bis 2019 mehr als ein Drittel aller tödlichen Angriffe gegen Indigene gerichtet waren.
Indigene waren auch das Ziel von 5 von 7 Massenmorden im Jahr 2020.
“This disparity also cuts across demographic divides.
Between 2015 and 2019 over a third of all fatal attacks have targeted indigenous people – even though indigenous communities make up only 5% of the world’s population.”
Laut dem GLOBAL WITNESS Bericht 2023 “STANDING FIRM - THE LAND AND ENVIRONMENTAL DEFENDERS ON THE FRONTLINES OF THE CLIMATE CRISIS (SEPTEMBER—2023)” hat sich die Situation keineswegs verbessert: 36% der ermordeten Umweltschützer waren 2023 Indigene.
"More than a third (36%) of the defenders murdered were Indigenous peoples and 7% were Afro-descendants. More than a fifth (22%) were small-scale farmers. All relied on their landsand natural resources for a living."
Dabei handelt es sich jeweils nur um dokumentierte Mordfälle – die Dunkelziffer ist hoch.
An dieser Gefährdung sind u.a. international agierende Unternehmen beteiligt, in manchen Fällen Regierungsorgane, manchmal durch Untätigkeit, wenn es darum geht, verbriefte Rechte von Indigenen Völkern zu respektieren.
UN Menschenrechtsabteilung und ILO reagieren ...
1989: ILO überarbeitet Konvention 107 und verabschiedet Konvention 169
Die ILO agierte: Es wurde erkannt, dass die ILO-Konvention 107„ einen assimilationistischen Ansatz enthielt“ (Quelle: www.ilo.org/publications/implementing-ilo-indigenous-and-tribal-peoples-convention-no-169-towards, Seite 32).
Die Konvention 107 wurde überarbeitet, und 1989 wurde die ILO-Konvention 169 verabschiedet.
Bislang haben über 30 Staaten die ILO169 ratifiziert und sich damit verpflichtet, sich an die darin festgelegten Regelungen zu halten und Rechtspositionen indigener Völker zu respektieren.
2007: UN-Arbeitsgruppe Indigene Völker erarbeitet Deklaration zu den Rechten Indigener Völker
Die besondere Gefährdungslage Indigener hatte schon 1974 dazu geführt, dass Vertreter Indigener Völker, allen voran der International Indian Treaty Council (IITC, USA) Zugang zur UN in Genf – dort ist die Menschenrechtsabteilung beheimatet – erwirkten. 1982 nahm die UNO formal mit der UN Working Group on Indigenous Populations (UNWGIP, Arbeitsgruppe zu Indigenen Völkern) die Arbeit zu Indigenen auf.
Es dauerte 25 Jahre, bis das wichtigste Ergebnis , die UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (UNDRIP), erarbeitet war; einerseits waren unterschiedliche Positionen der Indigenen zu berücksichtigen, andererseits mussten Formulierungen gefunden werden, die die Staaten akzeptierten, damit die UNDRIP vom Menschenrechtsrat der UN verabschiedet werden kann. Am 13. September 2007 wurde die UNDRIP von der Generalversammlung der UNO mit überwältigender Mehrheit verabschiedet.
Die besondere Gefährdungslage Indigener Völker war und ist auch Anlass für Menschenrechtsgruppen etc. die Ratifizierung der ILO169 durch die BRD anzustreben.
Unterschiede zwischen ILO169 und UNDRIP
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Die UNDRIP ist eine Erklärung der UN, die von der Vollversammlung verabschiedet wurde. Sie hat Appelationscharakter, und ist rechtlich nicht bindend.
Andererseits ist zu erwähnen, dass mehrere Staaten, in denen Indigene Völker leben, die UNDRIP in ihren Gesetzeskanon oder in ihre Verfassung aufgenommen haben; damit bekommt sie für die entsprechenden Länder einen verbindlicheren Charakter.
Die ILO-Konvention 169 wurde von der ILO als spezialisierter Organisation der UN erarbeitet und verabschiedet. Mit Ratifizierung durch einen Staat wird sie für diesen rechtlich verbindlich. Bislang wurde sie nur von einer begrenzten Zahl von Staaten, vor allem in Südamerika, ratifiziert.
Die Bundesrepublik ratifizierte die ILO-Konvention 169 am 15. April 2021 (siehe unten).
Die Regierungen von Ratifikar-Staaten sind verpflichtet, Berichte an die ILO über die Einhaltung der Konvention bzw. über Fortschritte dabei an die ILO abzuliefern.
Allerdings ist zu beachten, dass gemäß der ‚tripartite‘ Regelung der ILO, nur die drei Partien – Arbeitgeber bzw. deren Vertreter / Verbände, Arbeitnehmer bzw. deren Vertreter / Gewerkschaften, und Regierungen die Möglichkeit haben, Beschwerden vorzubringen.
Welche Rechte schreibt die ILO 169 fest?
Die ILO 169 schreibt eine breites Band von Rechten indigener und in Stämmen lebender Völker fest: Sie betont zunächst, dass ihnen alle Menschenrechte im vollem Umfang zustehen.
„Aufgabe der Regierungen, mit Beteiligung der betreffenden Völker [ist es] koordinierte und planvolle Maßnahmen auszuarbeiten, um die Rechte dieser Völker zu schützen ( ... )“ und „ b) die volle Verwirklichung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte dieser Völker unter Achtung ihrer sozialen und kulturellen Identität, ihrer Bräuche und Überlieferungen und ihrer Einrichtungen zu fördern; ( ... ) (Art 2 der ILO 169).
Nach Art 5
„a) sind die sozialen, kulturellen, religiösen und geistigen Werte und Gepflogenheiten dieser Völker anzuerkennen und zu schützen ( ... )“
Art 7 der ILO 169 legt fest
„1. Die betreffenden Völker müssen das Recht haben, ihre eigenen Prioritäten für den Entwicklungsprozeß, soweit er sich auf ihr Leben, ihre Überzeugungen, ihre Einrichtungen und ihr geistiges Wohl und das von ihnen besiedelte oder anderweitig genutzte Land auswirkt, festzulegen ( ... ) „
In weiteren Artikeln werden die Regierungen verpflichtet, die Gebräuche und das Gewohnheitsrecht der Indigenen gebührend zu berücksichtigen (Art. 8 und 9).
Von zentraler Bedeutung ist Art. 14:
„1. Die Eigentums- und Besitzrechte der betreffenden Völker an dem von ihnen von alters her besiedelten Land sind anzuerkennen.“
Im nachfolgenden Artikel wird dieses Recht auch auf die Ressourcen des Landes ausgeweitet, und sieht eine Beteiligung der Indigenen an der Nutzung und Bewirtschaftung dieser Ressourcen vor, gegebenenfalls Schadensersatz für Schäden, die durch den Abbau von Ressourcen (z.B. durch Bergbau) verursacht werden.
Art. 16 verbietet im wesentlichen die zwangsweise Umsiedlung; sollte Umsiedlung unumgänglich sein, ist gleichwertiges Land in mindestens gleicher Größe bereitzustellen, Verluste sind zu ersetzen.
Die Arbeitsbedingungen – zentrales Anliegen der ILO – sind in Art. 20 ausführlich geregelt, um sicherzustellen, dass Indigene nicht ausgebeutet oder diskriminiert werden. In den nachfolgenden Artikeln wird besonders auf die Notwendigkeit von allgemein- und berufsbildenden Programmen eingegangen, sowie auf die gesundheitliche Versorgung.
Die ILO 169 legt eine weitgehende Partizipation für Indigene bei Entscheidungen fest, die sie betreffen. Sie gewährt (nach dem entsprechenden Manual) allerdings kein Vetorecht. Im Laufe der Jahre hat sich jedoch die Praxis des „free prior and informed consent (FPIC)“ herausgebildet – indigene Völker müssen über Projekt, die sie betreffen, vorher zutreffend informiert werden und VOR Projektbeginn ihre freiwillige Zustimmung gegeben haben.
Durch die ILO 169 wird weitgehende Selbstbestimmung in kulturellen und sozialen Belangen festgelegt – während sie nicht Selbstbestimmung in politischer Hinsicht anspricht; diese liegt außerhalb des Mandats der ILO.
Handreichungen der ILO zur Konvention 169
Die ILO hat ihrerseits ‚Handreichungen‘ zur Anwendung und Umsetzung der Konvention 169 veröffentlicht, die detailliertere Orientierung geben:
2013
„Understanding the Indigenous and Tribal People Convention, 1989 (No. 169).
Handbook for ILO Tripartite Constituents
ILO Tripartite Constituents / International Labour standards Department (50 Seiten)
(download: www.ilo.org/publications/understanding-indigenous-and-tribal-peoples-convention)
Da Handbuch erläutert Maßnahmen, die Regierungen ergreifen sollten, wenn es um Indigene Völker und deren Rechte geht; es geht auch auf Unternehmen ein, die auf Land indigener Völker aktiv sind. Die Formulierungen bleibe jedoch recht allgemein.
2019 veröffentlichte die ILO die Broschüre
„Implementing the ILO Indigenous and Tribal Peoples Convention No. 169 - Towards an inclusive, sustainable and just future”,
156 Seiten
Entscheidungen / Empfehlungen der ILO
Darüberhinaus listet die ILO Fälle auf, in denen Entscheidungen betreffs der Anwendung der ILO-Konvention 169 bearbeitet und Empfehlungen von seiten der ILO ausgesprochen worden.
https://compendium.itcilo.org/en/decisions-by-subject?subject=11&save=search
Was bedeutet die Ratifizierung einer ILO-Konvention?
Ratifizierung bedeutet, dass das Parlament eines Staates die Regierung ermächtigt bzw. beauftragt, einer völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarung, z.B. der ILO 169, beizutreten.
Die Konvention wird bei Ratifizierung zu einem rechtlich verbindlichen Vertrag, der den Staat an die Einhaltung der festgelegten Standards bindet;
Anders als viele UN-Pakte, z.B. zu Politischen und Bürgerlichen Rechten, gegen Folter, zur Abschaffung jeder Art von Diskriminierung von Frauen etc., wurde die ILO 169 bisher nur von einer überschaubaren Zahl von Staaten der Welt unterzeichnet: So ratifizierten fast alle Länder Süd- und Mittelamerikas, Mexiko, die Zentralafrikanische Republik und Nepal; in Europa Norwegen (1990), Dänemark (1996), die Niederlande (1998), Spanien (2007), zuletzt ratifizierte Luxemburg (2018) als 23tes Land.
Der Deutsche Bundestag ratifizierte die ILO-Konvention 169 am 15. April 2021. Die Ratifizierung wurde zum 23. Juni 2021 der ILO übermittelt; die Konvention wurde ein Jahr später für die Bundesrepublik rechtsverbindlich.
Indigene Völker und Klimaschutz
Verschiedentlich wird die Wichtigkeit indigener Völker für den Schutz von (Ur-)Wäldern, z.B. im Amazonasgebiet hervorgehoben. Häufig sind tatsächlich Schutz und Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen wie z.B. der (Ur-)Wälder im Amazonasgebiet und in anderen Regionen ein wesentliches Anliegen indigener Völker. Ohne Erhalt dieser Lebensgrundlagen ist ihre Existenz unmittelbar in Gefahr.
Insbesondere das Klimabündnis, in dem über 1.700 Kommunen aus 26 Ländern Europas vernetzt sind, engagiert sich in praktischen Projekten mit Indigenen Gemeinschaften.
2. Die ILO-Konvention 169 – in der Welt, in der EU und in der Bundesrepublik
Aktuelle Situation … in der Welt …
Aktuell (Januar 2025) haben 24 Staaten die ILO-Konvention 169 ratifiziert – die meisten davon in Mittel- und Südamerika.
Die ILO- Konvention 169 hat Auswirkungen auf die Gesetzgebung, teils auch Verfassung, von Ländern in Mittel- und Südamerika.
So gibt der Artikel „NO GOING BACK: THE IMPACT OF ILO CONVENTION 169 ON LATIN AMERICA IN COMPARATIVE PERSPECTIVE” von José Aylwin and Pablo Policzer (2020, University of Calgary, http://dx.doi.org/10.11575/sppp.v13i0.69081) einen Überblick über die Wirkungen der ILO-Konvention 169 auf nationale Gesetze und Verfassungen.
„ILO C-169 has also deeply influenced legislation in the region. Indeed, throughout Latin America, international treaties like this are normally considered to be, if not part of the constitution, at least having a higher authority than ordinary domestic law. Consequently, rights and obligations contained in ILO C-169 generally prevail in these states over those in ordinary laws.”
Quelle: http://dx.doi.org/10.11575/sppp.v13i0.69081
„ILO C-169 hat auch die Gesetzgebung in der Region stark beeinflusst. In der Tat werden in ganz Lateinamerika internationale Verträge wie dieser normalerweise, wenn nicht als Teil der Verfassung, so doch zumindest mit höherer Autorität als das normale nationale Recht gesehen. Daraus folgt, dass die in ILO C-169 enthaltenen Rechte und Pflichten in diesen Staaten im allgemeinen Vorrang vor denjenigen in gewöhnlichen Gesetzen haben.“
... in der Europäischen Union (EU) ...
Im Juli 2018 verlautbarte die EU Kommission in einer Antwort auf eine Anfrage von Abgeordneten, dass sie die Ratifizierung der ILO 169 durch die EU-Mitgliedsstaaten unterstützt.
(Die EU als solche kann die ILO-Konvention nicht ratifizieren, da sie kein Staat ist.)
Das Europäische Parlament forderte 2018 ebenfalls zur Ratifizierung der ILO 169 und zur Anerkennung der Rechte Indigener Völker auf, und hob auch die Bedeutung indigener Völker beim Klimaschutz hervor.
Bislang hat jedoch nur eine kleine Zahl von EU-Ländern die ILO169 ratifiziert: Dänemark (1996), Niederlande (1998), Spanien (2007) und Luxemburg (2018) – und seit 2021 Deutschland.
Norwegen, nicht zur EU gehörend, ratifizierte die ILO169 bereits 1990.
In Europa haben – inzwischen anerkanntermaßen – die Länder Norwegen, Schweden und Finland Indigene Völker, die Sami, innerhalb ihres Staatsgebiets. Jedoch hat nur Norwegen (ein nicht EU-Staat) hat die ILO169 ratifiziert. Schweden und Finland halten sich zurück.
Siehe hierzu auch:
“Why (not) Commit? – Norway, Sweden and Finland and the ILO Convention 169” by Anne Julie Semb, Nordic Journal of Human Rights, pp 122–147, 25 September 2012
(Quelle: www.idunn.no/doi/10.18261/ISSN1891-814X-2012-02-02
Schweden arbeitet auf eine Anerkennung der Rechte Indigener Völker (hier der Saami) hin, hat ide ILO-Konvention 169 aber bislang nicht ratifiziert
Sweden still ‘working towards’ approval of Indigenous rights agreement
Sweden argues that that even though it has not yet adopted ILO 169, it has many legal protections for its Sámi residents, Kevin McGwin June 5, 2020
(Quelle: www.arctictoday.com/sweden-still-working-towards-approval-of-indigenous-rights-agreement/
... und in der BRD?
In der Bundesrepublik fanden sich in den 1990er und 2000er Jahren mehrere Menschenrechts-organisationen und Indigenen-Unterstützer im ILO169 Koordinationskreis (kurz KoKreis) zusammen (u.a. Aktive von Menschenrechte 3000), um eine Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch die Bundesrepublik zu erreichen.
1998 forderten die damalige Mitglieder des ILO169-Koordinationskreises (kurz: KoKreis), die Adivasi-Koordination, amnesty international, FIAN, die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), infoe und das Klimabündnis die Ratifizierung der Konvention,
Bei mehreren Wochenend-Seminaren ( in der Evangelischen Akademien in Iserlohn und Schwerte) wurde die Bedeutung der ILO169 besprochen und Bemühungen koordiniert, eine Ratifizierung durch die Bundesrepublik zu erwirken; auch ein Kontakt zum DGB, der als Arbeitnehmervertretung Zugang zur ILO hat, war geknüpft worden.
2002 veröffentliche die GfbV ein Papier „ILO-Konvention 169 -Konkretes Recht, von den Staaten ignoriert".
2003 forderte Thilo Hoppe (MdB, Grüne / Bündnis `90) in einer Pressemitteilung (20. Okt. 2003) die baldige Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch die Bundesregierung.
Das Missionswerk der Franziskaner erstellte eine umfassender Broschüre
„Grundlegende Rechte Indigener Völker starken – Beitritt zur ILO-Konvention 169!“
Nach dem Wechsel zu einer CDU-geführten Regierung 2005 war die Möglichkeit der Ratifizierung der ILO169 in die Ferne gerückt.
Der ILO169-KoKreis verbreitete u.a. ein Faltblatt, das über die ILO-Konvention 169 informierte:
Die Freiburger Mitgliedsgruppe MENSCHENRECHTE 3000 war für Gestaltung und Druck des Faltblatts zuständig.
Mit einem erneuten Wechsel zu einer CDU/CSU-SPD Koalition wurde eine Ratifizierung der ILO169 wieder greifbarer. Der ILO169-KoKreis wurde stärker aktiv und umfasste nun mehr NROs und Gruppen.
April 2021: Bundestag beschließt Ratifizierung der ILO-Konvention 169
Am 15. April 2021 ratifizierte der Deutsche Bundestag nach ausführlicher Debatte die ILO-Konvention 169. Die Debattenbeiträge der Bundestagsabgeordneten sind hier zu finden.
Bemerkenswert an der Debatte: die Abgeordneten aller demokratischen Parteien befürworteten die Ratifizierung der ILO-Konvention 169. Der Beitrag der Zivilgesellschaft zu diesem Schritt wurde gewürdigt.
Auszüge aus der Bundestagsdebatte zur Ratifizierung der ILO169
„Auch Deutschland als ein Land, in dem keine indigenen Bevölkerungsgruppen leben, kann zum Schutz indigener Menschen weltweit etwas leisten“
Kerstin Griese, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales.
„Die Ratifikation ist nicht die Ziellinie im Kampf für die Rechte indigener Völker, sondern der Startblock“ Carl-Julius Cronenberg (FDP)
„Wenn Deutschland ein Vorbild bei der Umsetzung indigener Rechte sein will, reicht die bloße Ratifizierung der ILO 169 nicht. Die Bundesregierung muss das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker wirklich ernst nehmen.“ Eva-Maria Schreiber ( Die Linke)
„Jahrelang wurde diese Konvention auch von Kolleginnen und Kollegen hier im Bundestag als reine Symbolpolitik abgetan, Tenor: Das betrifft uns hier ja eh nicht. ... Doch, es betrifft uns! ... Wenn in ihren Gebieten Regenwald zerstört wird für den Abbau von Soja, das auch zu uns geliefert wird, dann geht uns das was an. Wenn Ökosysteme vernichtet werden, von denen unser aller Klima- und Artenvielfalt abhängig ist, dann geht uns das was an. Wenn deutsche Groß-konzerne Staudämme in Brasilien, Kolumbien oder anderswo zertifizieren oder versichern, die dann zu Umweltkatastrophen mit Tausenden von Opfern führen, dann geht uns das entschieden etwas an, und dann sind wir hier in der Verantwortung.“ Margarete Bause (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
„Es geht eben nicht darum, irgendwelche Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren, sondern es geht darum, Lebensweisen vor Landraub, vor der Abholzung des Waldes, vor der Entziehung der Lebensgrundlagen, vor Umweltzerstörung – zum Beispiel durch Bergbau – und vor Vertreibungen zu schützen. Das ist das Ziel der ILO 169, und es ist absolut schützens- und unterstützenswert“ (Frank Schwabe (SPD).
„Das Übereinkommen hilft aber nicht nur indigenen Völkern; es hilft, wie mehrere Vorredner gesagt haben, tatsächlich uns allen. Es spielt eine Schlüsselrolle beim weltweiten Schutz der Wälder, indem es jenen Menschen die Kontrolle über ihr Land zurückgibt, die sich seit Generationen darum gekümmert haben“ Frank Heinrich (CDU/CSU)
Die Presse berichtete:
Deutschland will den Schutz indigener Völker stärken,
Kurier, Österreich, 15.04.21
Deutschland will den Schutz indigener Völker stärken | kurier.at
DW – Deutsche Welle
Deutschland will Indigenen-Rechte schützen
16.04.2021
Deutschland will Indigenen-Rechte schützen – DW – 16.04.2021
taz
Zahnloses Abkommen? - Deutschland ist der ILO-Konvention zum Schutz der Rechte indigener Völker beigetreten.
23.06.2022
Schutz von indigenen Völkern: Zahnloses Abkommen? | taz.de
Die ILO nahm 2023 Kenntnis von der Ratifizierung der ILO169 durch die Bundesrepublik und vermerkte dazu u.a.:
„The Committee further notes that the Government stresses that by ratifying the Convention, Germany not only wants to strengthen the Convention internationally, but also to support Germany’s human rights, climate action, and development policy objectives. The Government adds that the protection of the rights of indigenous peoples is a high priority in the context of German development cooperation and that, in its development policies, it places great emphasis on taking into account indigenous peoples’ rights and carefully examines the effects of measures and projects on indigenous people and local communities, both before and during the implementation process.”
(Quelle: Direct Request (CEACR) - adopted 2023, published 112nd ILC session (2024)
Nach der Ratifizierung ...
Mit der Ratifizierungen einer Konvention der ILO ist ein Unterzeichnerstaat verpflichtet, in regelmäßigen Abständen an die ILO über die Einhaltung der Bestimmung der entsprechenden Konvention schriftlich zu berichten, ggf. über Fortschritte bei der Umsetzung der Konvention.
3. Was wir wollen: Umsetzung der ILO-Konvention 169
Implementierung der ILO 169
Mit der Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch die Bundesrepublik ist ein wichtiges Ziel erreicht worden. Allerdings kann man nicht davon ausgehen, dass die Bundesregierung und die Ministerien selbständig Verpflichtungen aus der Konvention erkennen und danach handeln.
Unser Ziel ist die Implementierung der ILO Konvention 169 durch die Bundesrepublik.
Diesbezüglich wird des öfteren argumentiert, dass innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik keine Indigenen Völker leben und daher die ILO-Konvention 169 keine Anwendung finden könne.
Grundsätzlich wird von einer universalen Gültigkeit von Menschenrechten ausgegangen (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte).
Die Diskussion um die extraterritorialen Staatenpflichten im Zusammenhang mit der ILO-Konvention 169 ist im Gange.
Der ILO169-AK dazu ein Strategiepapier erarbeitet.
4. Literaturhinweise
Literaturhinweise werden noch ergänzt.